Die Geschichte des Camillo Sitte Bautechnikums

Die Idee des gewerblichen Schulwesens

Die Donaumonarchie, Österreich-Ungarn, war Mitte des 19. Jahrhunderts bestrebt, im Kreis der europäischen Mächte, England, Frankreich und Deutschland, wirtschaftlich konkurrenzfähig zu werden.

1864 wurde das Wiener Museum für Kunst und Industrie am Stubenring gegründet, dem 1868 eine Lehranstalt für Kunstgewerbe anschlossen wurde. Die aus aller Welt herbeigeschafften Exponate neuester hochentwickelter Produkte der führenden Industrieländer dienten der Anschauung und als Grundlage der nationalen Entwicklungsoffensive. In den eingerichteten Werkstätten der Lehranstalt wurde an eigenen Erzeugnissen geforscht und das technische und kunstgeschichtliche theoretische Wissen vermittelt.

Der Initiator und erste Direktor der fortschrittlichen Einrichtung war der Kunsthistoriker Rudolf Eitelberger, Ritter von Edelberg, 1817-85. Der wirtschaftliche Wettbewerb vollzog sich vor der Kulisse turbulenter Zeiten: Die 5. Weltausstellung, als Leistungsschau des industriellen Fortschritts, fand von 1.-31. Mai 1873 in Wien statt. Dafür wurde in 21 Monaten Bauzeit eine Ausstellungsstadt auf ca 233 Hektar im Prater, mit Industriepalast und der zentralen Rotunde, errichtet. Am 9.Mai 1873 "stürzten die Kurse an der Wiener Börse ins Bodenlose". Es waren turbulente Zeiten des Umbruchs im wirtschaftlichen und kulturellen Leben.

 

Die Einrichtung des gewerblichen Schulwesens

In dieser Situation legte der Bildungsreformer und Ministerialbeamte Armand Freiherr von Dumreicher, 1845-1908, den Grundstein des österreichischen gewerblichen Schulwesens, das eine international sehr beachtete Entwicklung nahm. Der österreichische Weg des heute so genannten Berufsbildenden Schulwesens basierte von Anfang an auf der Verschränkung zwischen Schulbildung und Ausbildung im Gewerbe- bzw. Industriebetrieb: "Dual". Dumreicher organisierte in den Jahren 1874-86, als Rat im Unterrichtsministerium der Donaumonarchie, das "gewerbliche Bildungswesen". Sein Reformplan machte u.a. die Gründung Höherer Gewerbeschulen möglich. In der Folge wurden sowohl staatliche Lehranstalten, wie in der Schellinggasse (Vorläufer des Camillo Sitte Bautechnikums) als auch von Gewerbevereinen getragene Schulen, wie das Technische Gewerbe Museum (TGM) in der Währingerstraße, gegründet. Damals, am Höhepunkt des Baubooms der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts, mussten die dringend erforderlichen Fachkräfte, die aus den ländlichen Gebieten der Monarchie zuströmten, zeitgemäß ausgebildet werden. Es galt, die rasante Entwicklung von Technologie und Industrialisierung zu bewältigen. Deshalb waren den damals so genannten Höheren Staatsgewerbeschulen technische Versuchsanstalten angeschlossen.

 

Gründung der Staatsgewerbeschule Wien 1, Schellinggasse

1880 erfolgte die Umbenennung der „k.k. Bau- und Maschinengewerbeschule“, in „k.k. Staats-Gewerbeschule“ als erste gewerbliche Mittelschule. Die Schule war in Wien 1, Annagasse, und im Gußhaus, in der Gußhausstraße Ecke Favoritenstraße, Wien 4, untergebracht.

Nachdem der Architekt Camillo Sitte auf Empfehlung seines Lehrers Eitelberger 1875 die Staatsgewerbeschule in Salzburg gegründet hatte, wurde er 1883 als erster Direktor an die Wiener Staatsgewerbeschule berufen. Man errichtete einen Neubau in Wien 1, Schellinggasse 13. Am Standort wurde eine Abteilung Baufach, eine Abteilung Maschinenfach und eine Werkmeisterschule geführt. Später kamen Flug- und Elektrotechnik hinzu. Die Lehranstalt kooperierte mit dem Polytechnischen Institut am Karlsplatz, der späteren Technischen Hochschule. 1920 erfolgte in der 1. Republik die Umbenennung in Bundesgewerbeschule. Mit der Schulreform 1962 wurden die Begriffe berufsbildendes mittleres und höheres Schulwesen und die Schulbezeichnung Höhere technische Lehr- und Versuchsanstalt (HTL) eingeführt.

 

Die Expositur der Staatsgewerbeschule Schellinggasse in der Leberstraße seit 1912

Wegen der begrenzten räumlichen Verhältnisse in der Innenstadt musste die Staatsgewerbeschule Schellinggasse ab 1912 Werkstätten, Teile der angeschlossenen Versuchsanstalt, später auch Unterrichtsräume, in die "Expositur" auf ein ehemaliges Betriebsgelände in der Leberstraße auslagern. Bestandsbaulichkeiten wurden dafür adaptiert und erweitert. In der 2. Republik wurde eine neuartige Traglufthalle als Turnhalle errichtet.  Der noch heute genutzte Klassentrakt, der Bauteil 10, wurde 1968-70 erbaut.

Aus dieser Zeit stammt die ungewöhnliche Festlegung des Stundenplanschemas. Am CSBT startet der Unterricht um 8:15, statt wie üblich um 8:00. Mit einer Verschiebung von 15 Minuten, die für die Wegstrecke Schellinggasse – Leberstraße zurückgelegt mit der Straßenbahnlinie 71 benötigt wurde, konnte in der Expositur der Unterricht in der Folgestunde pünktlich beginnen.

 

Schulgründung der Höheren technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Bautechnik in der Leberstraße im Schuljahr 1982/83

Die Abtrennung der Bautechnikabteilung als eigene Schule erfolgte im Schuljahr 1982/83. Die ersten Maßnahmen nach der Schulgründung betrafen die Entflechtung der beiden Schulen, Schellinggasse und Leberstraße. Die Abteilung Flugtechnik und sämtliche Maschinenbauwerkstätten mussten in die Schellinggasse und sämtliche Klassen der Hochbauabteilung mussten in die Leberstraße übersiedeln.

1983 erfolgte der Baubeginn des Schulneubaus in mehreren Baustufen. Der Schulbetrieb musste während der 7-jährigen Bauzeit aufrechterhalten werden. Zug um Zug übersiedelte der Schulbetrieb in die errichteten Neubauten. 1987-88 wurde dafür der Bauhof und die Versuchsanstalt in das Ausweichquartier auf die benachbarten Aspanggründe der TU Wien verlegt.

Ab 1988 befand sich die Schulkanzlei im Bauteil 10, Raum 066. Der Direktor saß im Raum 067. Das Lehrkräftezimmer wurde in den Räumen Nr.162-163 eingerichtet, wo es sich bis 1998 befand. Die Direktion übersiedelte dann 1990 in den Neubau.  

Ab dem Schuljahr 1982/83 wird die ehemalige Expositur der HTL-Schellinggasse als eigenständige Ausbildungsstätte für Bautechnik am Standort 1030 Wien, Leberstraße 4c, geführt. Abteilungsvorstand Dr. techn. DI Walter Bruckner übernahm für dieses Schuljahr die provisorische Leitung der eigenständigen HTLu.VA. Im Folgejahr übernahm der erste Direktor Hofrat DI Ernst Pokorny, ein gelernter Bauingenieur und anerkannter Brandschutzexperte, die Schulleitung.  

Zu diesem Zeitpunkt wurden ca. 650 Schüler*innen ausgebildet. Es gab eine einzügige, 4-jährige Fachschule und eine 3- bis 4-zügige HTL in 2 Abteilungen, Hochbau und Tiefbau.

Im Schuljahr 1986/87 waren 120 Lehrkräfte im Dienst, 1989/90 auf Grund von Lehrplanänderungen nur mehr 107.

 

Camillo Sitte Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt, die Aufbruchzeit in den 1990er Jahren

Die eigenständige HTBLuVA musste ihren Ruf als Ausbildungsstätte für Bautechnik aufbauen und aus dem Schatten der großen Lehranstalt in der Schellinggasse treten. Mit dem Schuljahr 1990/91 wurden 10 neue Lehrkräfte aufgenommen, weitere 41 bis 2000. Der Neubau ging in Betrieb, er umfasste die Trakte für Klassen und Sonderunterrichtsräume, den Bauhof und die Versuchsanstalt. Die feierliche Schlüsselübergabe zum Schulneubau fand am 14.11.1990 durch Bauten Minister Wolfgang Schüssel an den Nutzervertreter Unterrichtsminister Rudolf Scholten statt. Helmut Zilk hielt eine fulminante Rede als Bürgermeister der Stadt Wien.  

Die neue Schule suchte ihre Identität als einzige bautechnische Ausbildungsstätte der Sekundarstufe II Wiens. Direktor Hofrat DI Ernst Pokorny gilt als Initiator für die Namensgebung der Schule nach dem bedeutenden Architekten und Stadttheoretiker Camillo Sitte, der in den Anfängen der Gewerbeschule wirkte und lehrte. Der Lehrende und Bildhauer Richard Vakai entwarf das Logo. Drei angedeutete Säulen, angelehnt an die klassische Säulenordnung, repräsentierten ab nun die Bautechnische Schule.

Im Schuljahr 1994/95 übernahm Architekt DI Egon Bruckmann die provisorische Schulleitung für 1 Jahr. 2-tägig fand das 2. Camillo Sitte Symposium zum Thema "Bauen mit der Sonne" am 17. und 18.Oktober 1994, als Höhepunkt der öffentlichkeitswirksamen Projektwoche statt. Die Ergebnisse wurden auch am darauf folgenden Tag der Offenen Tür gezeigt. Damals wurde das didaktische Konzept der freien Projektarbeit unter Einbeziehung der ganzen Schule gestartet.

Von 1995-99 leitete DI Dr. techn. Erik Würger die Schule.

Im Schuljahr 1999/2000 übernahm Arch. Mag. Manfred Resch die provisorische Schulleitung für 1 Jahr. In dieser Zeit herrschte Aufbruchsstimmung und viele neue Ideen wurden umgesetzt. Das sogenannte Q.I.S./Qualität-in-Schule-Team erarbeitete ein Schulprofil, es wurde bereits gegendert. Eine Notebook-Klasse wurde erstmals geführt. Eine Absolvent*innen-Befragung wurde erarbeitet und durchgeführt, die Ergebnisse brachten wichtige Impulse für den Ausbildungsbetrieb ein.

In der Aula wurde die Camillo Sitte Büste, des österreichischen Bildhauers Hubert Wilfan, 1922-2007, feierlich enthüllt. Der Künstler lehrte von 1966 bis 1982 an der Höheren Technischen Lehranstalt in Wien I, Schellinggasse. https://de.wikipedia.org/wiki/Hubert_Wilfan

Im Schuljahr 2000 übernahm Hofrat Architekt DI Jakob Khayat, als sechster Schulleiter die Direktion. Er leitete die Schule bis 30.11.2019. Die Corporate Identity wurde mit einer Logo-Erweiterung nachgeschärft. Die Schule als "Unikats- Schule", nur Bautechnik, und als einzige Bauschule Wiens ausgewiesen:

Anlässlich des 100. Todestages von Camillo Sitte wurde 2003 das 5.Camillo Sitte Symposiums "Stadt:Gestalt“ veranstaltet.

Das Digitale Zeitalter erforderte nun auch eine Homepage, die bis 2018, fast unverändert, bestand. Es erfolgte der Umbau der Zeichensäle mit fixen CAD-Arbeitsplätzen. In der Schulentwicklung wurde der Schwerpunkt auf individualisierte Pädagogik und vielfältige Fachdidaktik gelegt. Die Landesschulinspektorin Hofrätin DIin Judith Wessely-Kirschke setzte mit der schulübergreifenden Initiative "HTL:impuls" an den Wiener HTLs neue Maßstäbe für die Umsetzung "guten Unterrichts" und die Methodenvielfalt der Wissensvermittlung.

Das Logo wurde nochmals erweitert.

Die Schule war inzwischen auf ca 1300 Schüler*innen und Studierende der Tages-und berufsbegleitenden Abendschule angewachsen, das Kollegium auf ca 150 Lehrende. Dem Ausbildungsbetrieb stellten sich neue Herausforderungen:

Die Digitalisierung der Schul- und Unterrichtsorganisation erfolgte zielstrebig. Mit dem Aufbau der Arbeitsgruppe BIM-IT im Kollegium wurden neue Rahmenbedingungen für den Ausbildungsbetrieb gesetzt.

Für die stete Aktualisierung der berufsorientierten Lehrziele setzt das Camillo Sitte Bautechnikum die Vernetzung in die Baubranche neu auf. Die duale Ausbildung, in Schule und Betriebspraxis, erforderte neuen Schwung für die Kooperation und den Austausch mit der regionalen Baubranche.

Die gesellschaftlichen Veränderungen der wachsenden Großstadt Wien, brachte neue Herausforderungen für den Ausbildungsbetrieb mit sich. Das Kollegium startete einen Entwicklungsprozess auf vielen Ebenen: Die Sozialformen des Unterrichts zielen auf Selbstorganisation und Teamarbeit ab. Die Disziplinen übergreifende Kooperation der Lehrenden setzt neue Potenziale in Ausbildungsbetrieb frei.

Das Bauwesen entwickelt sich dynamisch. Das Kollegium schärft die Themen nach. Der Wissenstransfer wird durch Forschendes Lernen in den Labors und der Versuchsanstalt intensiviert. Nachhaltige Planungsstrategien und Konzepte zirkularer Bauwirtschaft stehen im Fokus der Projekt-, Abschluss- und Diplomarbeiten. 

Ausdruck der Veränderungen war eine weitere Erneuerung von Corporate Identity & Design des Schulstandortes ab Mai 2017 durch eine engagierte Arbeitsgruppe aus dem Kollegium. Ab dem Schuljahr 2018/19 führt die Schule den Namen Camillo Sitte Bautechnikum und startete die neue Homepage.

Ab 1.12.2019 übernimmt Architektin DIin Angelika Zeininger die Schulleitung.

 

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